Kapitel 10
Tatsächlich kam Jane an diesem Abend noch die Gardiners besuchen. Sie versprach Lizzie den Brief an Mr. Darcy weiterzuleiten, dachte aber nicht, dass diese Maßnahme nötig sei. Sie konnte Lizzie nämlich nicht glauben, als diese ihr davon erzählte, dass Mr. Bennet den Brief von Mr. Darcy verbrannt hatte. Da musste ein Missverständnis vorliegen, war ihre Meinung dazu. Doch schließlich glaubte sie Lizzie, schob das Verhalten ihres Vaters aber ausschließlich auf seinen Ärger, weil Lizzie ihn belogen hatte. Wenn Lizzie ihren Vater um Erlaubnis gefragt hätte, hätte er ihr das erlaubt und es wäre nie soweit gekommen, dass er einen Brief ihrer Schwester verbrannt hätte.
Lizzie belächelte Janes Meinung zu der ganzen Situation nur, war aber glücklich jemanden um sich zu haben, der ihr zumindest zuhörte und sie nicht wie ein ungezogenes Kind behandelte.
Am nächsten Tag reiste Lizzie wie geplant mit ihrem Vater nach Longbourne zurück. Während der ganzen Fahrt sprach Mr. Bennet kein Wort mit ihr. Lizzie fühlte sich schrecklich deswegen. Denn obwohl sie auch sauer auf ihren Vater war, machte es ihr schwer zu schaffen, dass ihr Vater, der sie sonst immer gegenüber ihren Schwestern bevorzugt hatte, sie nun vollkommen ignorierte. Sie war sogar froh, als sie endlich ihre Mutter und ihre jüngeren Schwestern, da diese sie wenigsten willkommen hießen, auch wenn alle sehr verwundert waren, als Mr. Bennet und Lizzie unerwartet von London zurückkamen. Doch durch die Erkältung, die Lizzie kaum zwei Tage nach ihrer Rückkehr nach Longbourne bekam, gab es zumindest die Erklärung für ihre plötzliche Wiederkunft aus London, dass es Lizzie nicht so gut gegangen war und man deshalb zurückgereist war.
Aber die Erkältung Lizzies kam eigentlich daher, dass sie einmal ohne Schal rausgegangen war. Das kam so: Ihr Vater rief sie am Tag nach ihrer Ankunft in Longbourne in die Bibliothek. Lizzie war aufgeregt, was er ihr wohl zu sagen hatte, denn bisher hatte er auch, seit sie in Hertfordshire waren, kaum ein normales Wort mit ihr geredet. Wollte er sich wieder mit ihr versöhnen oder erwartete sie eine neue Strafpredigt, fragte sich Lizzie.
Aber Mr. Bennet hatte weder das Eine noch das Andere im Sinn. "Lizzie", begann er, "du hast schon wieder einen Brief aus Derbyshire erhalten." Er hielt den Brief hoch, damit Lizzie ihn sehen konnte. "Eine Georgiana Darcy spricht dich mit 'Meine liebe Lizzie' an. Der Brief ist jedenfalls sehr aufschlussreich. Miss Darcy bedauert, dass du so schnell wieder nach London zurückreisen musstest, und berichtet von ihrem armen Bruder, der dich anscheinend schrecklich vermisst. Und was hat es mit dieser Arie aus der 'Zauberflöte' auf sich?", informierte Mr. Bennet Lizzie belustigt über den Inhalt des Briefes, dann fügte ernster hinzu: "Du verstehst sicher, dass ich auch die Briefe von Mr. Darcys Schwester kontrollieren muss. Ich wünsche es nicht, dass du mit dieser Familie irgendwelchen Kontakt pflegst." Damit landete Georgianas Brief wie schon der vorige Brief im Feuer. Lizzie starrte ihren Vater nur entsetzt an. "Spinnst du?", schrie sie, "Georgiana kann doch nichts dafür! Was fällt dir eigentlich ein, meine Briefe zu beschlagnahmen. Dazu hast du kein Recht!" "Ich habe jedes Recht deine Briefe zu lesen. Schließlich hast du mich hintergangen, betrogen und belogen. Also hör auf, auf deine Rechte zu pochen!", erwiderte Mr. Bennet erbost.
Lizzie machte nun ihren Gefühlen dazu Luft. "Ja, ich habe dich belogen", rief sie aus, "aber du hast zuerst gelogen. Was hat dich denn dazu veranlasst, Fitzwilliam zu erzählen, dass ich ihn nicht liebe? War das etwa die Wahrheit? War das etwa richtig? NEIN! Also verlange nicht von mir ehrlich zu sein, wenn du es selbst nicht bist! Ich liebe dich und will dich nicht verletzen, aber ich werde wegen dir nicht meine große Liebe aufgeben! Ich liebe Fitzwilliam und werde ihn nicht aufgeben, auch wenn du nie wieder ein Wort mit mir sprechen solltest! Es ist unfair, mich unglücklich zu machen, nur weil du mit deinem eigenen Leben nicht zufrieden bist! Das lasse ich nicht zu!" Mit Tränen in den Augen stürzte Lizzie aus dem Zimmer an einer verblüfften Kittie vorbei und daraufhin aus dem Haus.
Mr. Bennet überlegte nach dem Ausbruch seiner Tochter nun, ob er nicht doch zu streng mit ihr gewesen war. Aber sie hatte seine Auflösung der Verlobung einfach übergangen, hatte ihn sogar belogen, um zu Mr. Darcy zu reisen und sah immer noch nicht ein, dass er jedes Recht und auch noch gute Gründe hatte, ihre Verlobung mit Mr. Darcy aufzulösen. Dass er gegenüber Mr. Darcy so stur behauptet hatte, dass seine Tochter diesen nicht liebte, war vielleicht nicht richtig gewesen, aber er hatte damals noch nicht einmal vermuten können, dass seine Tochter tatsächlich Gefühle für Mr. Darcy hatte. Nein, er war vielleicht ein klein bisschen zu streng gewesen, aber sein Handeln war absolut vernünftig und begründet gewesen.
Und Lizzie machte einen langen Spaziergang trotz der Kälte und war am nächsten Tag krank. Sie hasste es krank zu sein und ihre Mutter, die sich schrecklich aufregte und so tat, als wäre Lizzie absichtlich krank geworden, trug nicht unbedingt dazu bei, dass Lizzie die vier Tage, die sie nun im Bett verbringen musste, genoss. Aber Kittie kümmerte sich so liebevoll um Lizzie, dass diese anfing zu glauben, dass sie ihre zweitjüngste Schwester vollkommen falsch eingeschätzt hatte.
Am zweiten Tag gab es für Lizzie noch eine zweite Aufmunterung. Denn sie bekam einen Brief von Jane und trieb Kittie, sobald sie den Brief aus deren Hand entgegengenommen hatte, fast schon unfreundlich aus dem Zimmer, um den Brief zu lesen. Tatsächlich befand sich im Umschlag von Jane ein weiterer Umschlag mit einer ihr durchaus bekannten Schrift. Ihre Finger zitterten, als sie hastig das Siegel aufbrach und las, was Mr. Darcy ihr zu berichten hatte:
Liebste Elisabeth,
ich war geschockt und empört, als du mir in deinem letzten
Brief von dem Verhalten deines Vaters berichtet hast. Am
liebsten wäre ich auf der Stelle nach London gereist und hätte
dich von diesem Vater und dieser Familie weggeholt, aber das
war schon aufgrund meiner Verletzung nicht möglich. Der Arzt
hat mir für zwei Wochen das Reisen strengstens untersagt, aber
ich denke, ich halte es nicht aus, länger als eine Woche hier
in Derbyshire zu bleiben. Deshalb werde ich gewiss bald die
Bingleys in London besuchen und sie dazu drängen mit mir nach
Netherfield zu reisen. Ich vermisse dich auch schrecklich.
Georgiana versucht mich abzulenken, aber dich kann meine
geliebte Schwester nicht ersetzen. Sie bittet mich übrigens
dich zu fragen, ob du ihren Brief bekommen hast. Sie war sich
nicht sicher, ob du eine Bemerkung darin, über die Opernarie,
die du gesungen hast, als du hier warst, nicht falsch
verstehen solltest. Denke aber, dass du ihre Bemerkung sicher
humorvoll verstanden hast. Denn du hast ein sehr gutes Gespür
für Witz und Ironie, wie ich versucht habe auch Georgiana
deutlich zu machen. Es wäre aber gut, wenn du sie selbst
dahingehend versichern würdest.
Aber nun habe ich genug von meiner kleinen Schwester
berichtet. Schließlich will ich nicht, dass du mir, wenn wir
verheiratet sind, vorhältst, dass ich dir keine richtigen
Liebesbriefe geschrieben habe. Deshalb werde ich jetzt nur
noch deine wunderschönen Augen bewundern und dir versichern,
wie sehr ich dich liebe.
Jetzt wirst du mir gewiss vorhalten, dass ich nur mit dir
scherze. Aber das tue ich doch nur, weil ich mir dein
lächelndes Gesicht beim Lesen meines Briefes vorstelle. Oh,
Lizzie, allein der Gedanke an dein Lächeln macht mich schon
glücklich: Wenn dein Mund sich so langsam verzieht, bis man
schließlich deine weißen Zähne hervorblitzen sieht und in
deine Augen so ein vorwitziges Funkeln tritt, wünsche ich
mir jedesmal, dass du nie mehr aufhörst zu lächeln. Und
wenn du auch noch mich anlächelst, dann bin ich der
glücklichste Mann auf der Welt.
Aber da man in so einem Liebesbrief nicht nur einen Vorzug
der Angebeteten betonen soll, werde ich über einen deiner
vielen anderen Vorzüge schreiben: Da es der Anstand nicht
erlaubt über deine weichen Lippen oder deinen wohlgeformten
Körper zu schreiben, werde ich mein Lob deinen Haaren widmen,
die in dunklen Locken sanft dein wunderhübsches Gesicht
umspielen. Manchmal lösen sich einige widerspenstige
Strähnen, die sich dann neckisch im Nacken kräuseln. Ach,
Liebste, wie gerne würde ich einmal durch dein offenes Haar
fahren.
Da nun aber zuviel Lob zu Stolz und Eitelkeit führt und
diese beiden schwere Charakterfehler sind, werde ich jetzt
aufhören dich und deine Schönheit zu loben. Auch können
alle diese Worte der Bewunderung nicht ausdrücken, was ich
für dich fühle, und ich liebe dich ja schließlich nicht
nur wegen deinem bezaubernden Lächeln oder deinen
kohlrabenschwarzen Locken, sondern wegen deiner klugen,
witzigen, entzückenden und liebevollen Art.
Ach, Lizzie, ich liebe dich einfach und vermisse dich und
wünsche mir du wärst bei mir. Ich warte sehnsüchtig auf einen
Brief von dir, der hoffentlich an die Romantik in diesem Brief
herankommt. Aber es ist ja nicht jeder gleich ein Profi und
ich würde mich schon über einen Versuch von dir freuen. Ich
hoffe, wir sehen uns bald wieder.
Dein liebeskranker Fitzwilliam Darcy
PS: Du kannst dir auch einen Kosenamen für mich ausdenken.
Fitzwilliam klingt doch eher formell. Mach dir keine Gedanken,
ob mir der Name gefällt oder nicht: Jeder Kosename würde mir
gefallen, wenn du ihn für mich ausgesucht hättest.
Lizzie drückte den Brief an ihre Brust und las ihn daraufhin noch einmal. Erst dann widmete sie ihre Aufmerksamkeit Janes Brief. Jane hatte nicht viel Interessantes zu berichten: Sie erzählte Lizzie von London, von Bällen, die sie besucht hatte, und den neuen Bekannten, die sie gemacht hatte. Eigentlich hätte Lizzie Janes Brief mit Neugier gelesen, aber nach Fitzwilliams Brief waren ihre ganzen Gedanken auf ihn und Derbyshire gerichtet, so dass alles andere in ihrem Kopf keinen Platz hatte.
Nachdem Lizzie seinen Brief das erste Mal gelesen hatte, hatte sie sofort antworten wollen, aber dann fiel ihr ein, dass sie ja erkältet war, und ließ es deshalb. Nicht, dass es Lizzie unmöglich gewesen wäre, auch im Bett einen Brief zu schreiben, und sie war nicht so krank, dass Schreiben für sie ein Problem darstellte. Aber sie wollte ihren Verlobten nicht mit ihrer Erkältung beunruhigen und, da es für sie unmöglich war einen Brief an Darcy zu schreiben und ihm so etwas zu verschweigen, beschloss Lizzie ihm besser erst dann zu antworten, wenn es ihr wieder besser ging.
Zum Glück ging es ihr schon zwei Tage später so viel besser, dass sie das Bett verlassen konnte, und, bevor sie irgendetwas anderes machte, schrieb sie Mr. Darcy folgenden Brief:
Mein geliebter Willie,
ich habe Willie als Kosenamen für dich gewählt, weil
"Willie und Lizzie" so lustig klingt. Aber eigentlich
finde ich Will oder William schöner. Deshalb werde ich
dich auch so ansprechen und nicht mit Willie. Ich meine,
was würde wohl Miss Bingley oder Lady Catherine de Bourgh
von einem solchen Spitznamen halten?
Du hast gewiss bemerkt, dass ich dir lange nicht
geschrieben habe. Das liegt daran, dass ich die letzten
Tage etwas erkältet war. Mach dir bitte keine Sorgen! Ich
bin wieder ganz gesund und mir ging es auch nicht sehr
schlecht. Aber ich wollte dir nicht schreiben, dass ich
erkältet bin, weil dich das nur unnötig aufregt hätte.
Deshalb habe ich mit Schreiben so lange gewartet, bis es
mir wieder besser ging. Ich hoffe, du hast dir nicht
schon Gedanken gemacht, wieso ich nicht geantwortet habe.
Es wäre mir unerträglich dich beunruhigt zu haben.
Ich habe leider den Brief deiner Schwester nicht lesen können.
Mein Vater hat den Brief vorher abgefangen und ihm sich auf
die gleiche Weise entledigt, wie er das mit deinem Brief
gemacht hat. Nun bin ich unsicher, ob ich Georgiana von dem
Verhalten meines Vaters berichten soll oder einfach so tun
soll, als ob ihr Brief verschwunden wäre. Aber da ich davon
überzeugt bin, dass mein Vater auch mit Georgianas nächstem
Brief ähnlich verfahren würde, wäre es wohl gut ihr die ganze
Sache zu erzählen. Schließlich wusste sie auch vorher schon
davon, dass mein Vater dich ablehnt, und ist vernünftig
genug, um damit umzugehen.
Ich bitte dich eindringlich nicht hierher zu reisen, solange
dein Arzt es dir nicht ausdrücklich erlaubt. Auch wenn ich
dich gerne hier bei mir hätte, solltest du dafür nicht
deine Gesundheit auf Spiel setzen. Bitte, bitte, bleib,
wo du bist! Ich könnte es nicht ertragen, wenn dir wegen
mir etwas zustoßen würde und bei dem Wetter ist so eine
Reise ja auch nicht ungefährlich.
So, nun zu dem Teil deines Briefes, in dem du anscheinend
versucht hast, deine Bewunderung mir gegenüber auszudrücken:
Es wäre gewiss ein richtiger Poet aus dir geworden, wenn nur
deine Komplimente nicht so ironisch ausgefallen wären. Was
zum Beispiel soll ein Verweis auf Anstand in einem
Liebesbrief? Oder wieso ermahnst du mich, nicht eitel oder
stolz angesichts deiner Zuneigung zu werden? Nein, mein Lieber,
das war kein richtiger Liebesbrief, mal abgesehen davon, dass
du dich teilweise nicht ganz an die Wahrheit gehalten hast: Denn
ich habe keine kohlrabenschwarzen, sondern nur dunkelbraune Haare.
Aber da du es redlich versucht hast und dich sicher beim nächsten
Versuch besser schlagen wirst, will ich dir einmal ein Beispiel
dafür geben, wie so ein Liebesbrief zu klingen hat:
Mein liebster Will,
mein Herz verzehrt sich voller Sehnsucht nach dir. Tag und Nacht
denke ich nur an dich. Niemals werde ich den leidenschaftlichen
Ausdruck deiner dunklen Augen vergessen. Wenn ich nur deine
Stimme höre, stockt mir schon der Atem und mein Herz fängt
heftig an zu schlagen. Jede Stunde, ja sogar jede Minute, die
ich nicht in deiner Nähe verbringe, scheint mir verloren. Ich
weiß nicht, was ich ohne dich tun soll. Mein Herz ist erfüllt
von tiefster Liebe zu dir und mein Körper verlangt nach deiner
Berührung. Wenn ich mich in deinen starken Schultern verberge,
fühle ich mich geborgen. Ich werde dich ewig lieben,
Deine Lizzie
So, nun wo du weißt, wie so ein Liebesbrief zu klingen hat,
wirst du natürlich auch einen solchen Brief zustande bringen.
Und es ist ja nicht jeder gleich ein Profi, deshalb brauchst du
dir keine Gedanken deswegen machen, dass du nicht gleich auf
Anhieb einen romantischen Liebesbrief schreiben konntest. Ich
liebe dich trotzdem.
Ach, William, ich vermisse und liebe dich so sehr, dass ich
manchmal angesichts meiner Gefühle für dich richtiggehend Angst
bekomme. Ich meine, was mache ich, wenn dir einmal etwas
zustoßen sollte? Ich wüsste nicht, wie ich ohne dich weiterleben
könnte. Wie kann mein Vater auch nur erwarten, dass sich meine
Gefühle zu dir jemals ändern könnten? Wo ich so lange gebraucht
habe, um deinen Charakter und deine Qualitäten zu erkennen,
werde ich jetzt gewiss nicht mehr so schnell meine Meinung von
dir ändern. Allein das, was du für Lydia getan hast, hat dafür
gesorgt, dass ich dir ewig dankbar bin, und meine tiefe Liebe
zu dir ist, während ich dich immer besser kennen lerne, nur
gewachsen. Ich habe sogar entdeckt, dass du einen Sinn für
Humor hast, was ich bei unseren ersten Begegnungen nie auch
nur vermutet hätte. Wenn doch mein Vater dich auch so sehen
könnte, wie ich dich sehe. Ich bin mir sicher, dass er dich
dann nicht als Schwiegersohn ablehnen würde.
Ich weiß nicht, was ich dir noch schreiben soll. Je mehr ich
dir schreibe, desto mehr vermisse ich dich. Deshalb beende ich
hier auch diesen Brief.
Ich liebe dich,
Deine Lizzie (mit den kohlrabenschwarzen Locken und dem
vorwitzigem Funkeln in den Augen)
...Fortsetzung folgt
© 2005 Becky
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