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"Every dam' thing about Jane is remarkable to a pukka Janeite!" - Rudyard Kipling

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1. Group Read: Stolz und Vorurteil

Seiten 3 off 5 Seiten: 1, 2, 3, 4, 5
Autor Beiträge
Jojonu
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Geschrieben Mittwoch, Mai 18, 2005 @ 09:29:57    YIM

Bruki schrieb: "Und umso gekränkter ist sie dann nach der "männlichen" Abfuhr, die, das darf natürlich nicht vergessen werden, gar nicht für ihre Ohren bestimmt war."

Wirklich? Ich dachte immer, dass es Darcy in der Situation, als er das sagte, völlig egal ist, wer das hören kann - ja, sogar im Gegenteil: er will, dass Lizzy es hören kann. Schließlich beunruhigt es ihn da ja schon, dass er sie "ins Auge gefasst hat" ("Sie (Elizabeth) war eine Frau, die ihm gefährlich werden könnte" - so ähnlich habe ich es doch gestern im Buch gelesen)... Mmh, aber vielleicht interpretiere ich das falsch?

Sonja
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Geschrieben Mittwoch, Mai 18, 2005 @ 10:14:45  

Oooops, warum habe ich von dieser interessanten Diskussion hier seit gestern erst jetzt was mit bekommen.

@ Kerstin: Du hast ja soooo recht

Und es ist Darcy völlig egal wer oder was ihn hört bei seiner Bemerkung und wen oder was er damit beleidigt. Die Anwesenden zählen einfach nichts, sie sind zu primitiv um überhaupt zur Kenntnis genommen zu werden. Ich denke, dass er Lizzy erst danach, nach dieser Bemerkung überhaupt zur Kenntnis nimmt. Und überrascht wird davon, dass sie wohl offensichtlich doch Geist hat.

Und der erste Heiratsantrag ist genauso eine Unverschämtheit. Und Lizzy ist noch sehr höflich bei ihrer Abfuhr. Erst als er nachbohrt wird sie deutlich. Und mag sein, dass ein Teil der Begründung auf Vorurteil beruht, aber zumindest die Sache mit Jane gibt ihr jedes Recht für diese Reaktion.

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Kratzbürste
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Geschrieben Mittwoch, Mai 18, 2005 @ 11:42:38  

Ich bin auch der Meinung, daß es Darcy - in diesem Moment - total egal ist, wer seine Äußerung hört. Wie Sonja schon sagt, juckt es ihn überhaupt nicht, was dieser "Pöbel" von ihm denkt. Es paßt ihm ohnehin schon nicht, daß er auf diese Veranstaltung gezerrt wurde und dann sollte er auch noch tanzen! Das ist doch wirklich zu viel verlangt!
Im nachhinein hätte er sich natürlich lieber die Zunge abgebissen.
Die Reaktion Lizzies auf den ersten Antrag ist für mich vollkommen verständlich. Er wollte wissen, warum sie ihn ablehnt. Und sie sagt es ihm. Und zu diesem Zeitpunkt ist sie wirklich davon überzeugt, daß er Wickham Unrecht getan hat. Sie vertraut diesem. Seine Aussagen sind für sie Beweis genug. Und deswegen scheut sie sich auch nicht Darcy diese Anschuldigung entgegenzuschleudern. Sie fühlt sich im Recht. Ich kann ihr da keinen Vorwurf machen.
MierschB
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Geschrieben Mittwoch, Mai 18, 2005 @ 18:22:15  

Quote:
Kratzbürste: Sie fühlt sich im Recht. Ich kann ihr da keinen Vorwurf machen.

Ach liebste Kratzbürste, dass zeigt aber nur, was für ein mitfühlendes Herz Du hast. - Im wirklichen Leben kommt es nicht darauf an, sich im Recht zu fühlen, sondern Recht zu haben (oder vor Gericht zu bekommen).

Euch anderen Darcy-Verächterinnen nenne ich jetzt mal einfach "meine orthodoxen Freundinnen" - und bitte darum, mir noch etwas Zeit zu lassen - bis ich die schon erwähnte Übersetzung fertig gestellt habe...

Bruki

PS: Ich finde auch, dass Kerstin die ganze kunstvoll verschlungene Angelegenheit aus Elizabeth' Sicht ganz hervorragend wiedergegeben hat... Daran könnte ich auch kein Komma verbessern... Aber: Es gibt bei Jane Austen immer auch andere Sichtweisen - und ich hoffe, ihr werdet denen ebenso eure JAF-Referenz erweisen ... Und bis dahin den armen Darcy nicht völlig fertigmachen...

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Sonja
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Geschrieben Mittwoch, Mai 18, 2005 @ 19:00:28  

Ich und den armen Darcy fertigmachen - nie im Leben. Dazu bin ich viel zu verliebt in ihn . Aber er brauchte definitiv diese Abreibung. Und das sieht er ja im Nachhinein genauso.

Lizzy trifft die Schuld, dass sie bezüglich Wickham und Darcy voller Vorurteil war. Da gebe ich Dir recht. Und sie bekommt ja auch ihr Fett weg deswegen. Aber allein die Form des Antrages hat schon nach einer Zurückweisung geschrieen. Und wegen seiner Einmischung in Janes Angelegenheiten hatte sie gleich doppelt recht so unverblümt zu werden.

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MierschB
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Geschrieben Mittwoch, Mai 18, 2005 @ 21:28:54  

Quote:
Jojonu: Schließlich beunruhigt es ihn da ja schon, dass er sie "ins Auge gefasst hat" ("Sie (Elizabeth) war eine Frau, die ihm gefährlich werden könnte" - so ähnlich habe ich es doch gestern im Buch gelesen)... Mmh, aber vielleicht interpretiere ich das falsch?

Ja, das ist sehr wahrscheinlich.

Das erste Treffen der beiden: "Welche meinen Sie?" Er wandte sich um und musterte einen Augenblick lang Elizabeth; doch als sich ihre Augen trafen, blickte er weg und sagte kühl: "Bingley, Deine Versuche, mir die sitzengebliebene, wenig attraktive Schwester des schönsten Mädchens im Saal anzudrehen, nerven mich. Putz die Platte, amüsier Dich und lass mich in Ruhe!"

Man muss ab und zu mal Jane Austen selbst befragen, wie Darcy sich in Lizzy verliebt. Das ist auf ihrem 4. Treffen (der erste Ball in Meryton, ein Besuch in Netherfield und der Gegenbesuch in Longbourn, der Ball in Lucas Lodge):

Elizabeth war so damit beschäftigt, Mr. Bingleys Verhalten zu ihrer Schwester zu beobachten, daß sie gar nicht auf den Gedanken kam, sie könne in den Augen seines Freundes selber an Interesse gewinnen. Mr. Darcy hatte sie zuerst kaum hübsch finden wollen; er hatte sie auf dem Ball ohne jedes Gefühl der Bewunderung betrachtet; und als sie sich das nächste Mal begegneten, blickte er sie nur an, um Fehler an ihr zu finden.
Doch kaum hatte er sich selbst und seinen Freunden beredt auseinandergesetzt, daß sie fast keinen ansprechenden Zug in ihrem Gesicht habe, als er zu merken begann, wie ihre schönen dunklen Augen ihr Gesicht ungewöhnlich intelligent erscheinen ließen. Dieser Entdeckung folgten weitere, die für ihn nicht weniger blamabel waren. Obgleich sein kritisches Auge an ihrer Gestalt mehr als einen Verstoß gegen die vollkommene Symmetrie festgestellt hatte, mußte er nun doch anerkennen, daß ihre Figur zierlich und angenehm war. Und wenn er noch so sehr betonte, daß ihre Umgangsformen nicht die der eleganten Welt waren, so wurde er doch durch ihre natürliche Ungezwungenheit beeindruckt.
Von alldem hatte sie nicht die geringste Ahnung; für sie war er nur der Mann, der sich nirgends beliebt machte und der sie für nicht hübsch genug gehalten hatte, um mit ihr zu tanzen. Er dagegen begann zu wünschen, sie besser kennenzulernen. Und als Vorstufe zu einem Gespräch mit ihr hörte er ihren Unterhaltungen mit anderen zu. Elizabeth blieb das nicht verborgen.
(Kapitel 6)

Er muss ein von Standesdünkeln zerfressenes, total fieses, missgünstiges Charakterschwein gewesen sein, wenn man sich vorstellt, dass er schon auf Seite 28 wünscht Elizabeth besser kennenzulernen... Und sie ist natürlich völlig im Recht, wenn sie seine schüchternen Annäherungsversuche mit aller ihr zur Gebote stehenden weiblichen Aggressivität zurückweist... - Ja, genau genommen, bekommt sie in ihrer von Vorurteilen freien Durchblickermentalität nicht mal mit, dass sie gerade vom handsomesten Mann im Saal angebaggert wird... sondern unterstellt ihm sofort unlautere Motive...

Ein paar hundert Seiten weiter schämt sie sich dafür in Grund und Boden... Aber das ist schon eine andere Geschichte.

Bruki

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Kerstin
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Geschrieben Donnerstag, Mai 19, 2005 @ 00:13:29     ICQ

Das ist ja nun ziemlicher Unsinn, wir haben aus Darcy sicher kein "Charakterschwein" gemacht. Er ist ein Schnösel, was vollkommen genügt, um bei einer Frau untendurch zu sein.
Ein schöner Satz Lizzys in diesem Zusammenhang ist doch:
"[...]Und ich würde ihm ohne weiteres seinen Stolz verzeihen, wenn er nicht meinen gedemütigt hätte."

Und ganz ehrlich, selbst wenn ich als Lizzy nicht die Wickhamgeschichte im Hinterkopf hätte, wie würdet ihr reagieren, wenn eure Lieblingsschwester monatelang mit Liebeskummer herumläuft und still vor sich hinheult und dann erzählt man euch, der beste Freund des "Auserwählten" hat einen Keil zwischen die Beiden getrieben? Absichtlich und mit anscheinend unerschütterlichem Glauben an sein RECHT, dass zu tun? Und dann hat der Typ den Nerv, euch zu besuchen und euch seine unendliche Liebe zu gestehen, obwohl ihr ja SOWAS von unter seiner Würde seid...
Und er ist so arrogant zu glauben, ihr würdet ihm freudestrahlend um den Hals fallen. Wenn sie ihm das "more gentlemanlike manner" um die Ohren haut und dann sagt "you'll be the last man in the world I would ever marry"... da applaudiere ich im Stillen.
In Lizzys Situation gehört dazu nämlich auch eine Menge Mut. Wenn sie da ihren Stolz und ihre Vorurteile heruntergeschluckt und der Verlockung einer reichen Ehe erlegen wäre, dann wären die Probleme ihrer Familie mit einem Schlag gelöst gewesen.
Nun mal zum armen, geschundenen Darcy . Es ist natürlich schwierig, so als Frau, sich in ihn hinein zu versetzen, aber ich versuche es trotzdem mal.
Er kommt aus einem reichen Haus, sein Vater war sicher sehr großzügig, denn er hat ja Wickham aufgenommen und wie einen Sohn erzogen. Seine Mutter ist die Schwester von Catherine de Bourgh.. und die gute Lady de Bourgh hat einen ausgeprägten Standesdünkel, den ihre Schwester vielleicht auch hatte...
Seine Bildung und Erziehung lassen sicher nicht zu wünschen übrig. Irgendwann in seiner Entwicklung hat man im vielleicht mal zu oft mitgeteilt, dass er intelligent ist.. oder was besseres. Bingley kann ihm nicht das Wasser reichen, der ist zwar charmant, aber sicher nicht so gebildet und bewundert Darcy. Seine Schwestern sind wohl die ersten Groupies... Sie hängen so bedingungslos an seinen Lippen, dass sie ihm nie widersprechen würden. Und sie sind schreckliche Snobs. Ich vermute mal, der Rest der weiblichen Welt wird auch großes Bemühen gezeigt haben, in die Nähe eines reichen, gutaussehenden und gebildeten Mannes zu kommen.
Und dann muß er in die Provinz. Schockschwere Not! Und zu einem Tanz in einer besseren Dorfkneipe... Wie schrecklich! Dort können ja nur gewöhnliche Frauen sein!
Teilweise wird sein Vorurteil ja bestätigt, nur sind nicht alle Damen da so "ländlich" und unterbemittelt wie erwartet. Aber er ist ja fest entschlossen, diesen Abend furchtbar zu finden. Und darum sind auch alle anwesenden Damen nicht hübsch genug, ihn zum Tanzen zu verführen. Und damit auch alle wissen, dass er schlecht gelaunt ist, beleidigt er eine Dame, obwohl sie in Hörweite sitzt. Weil sein Freund ihn gebeten hat, mal mit einer der Damen zu tanzen.
Dummerweise bricht diese Dame nicht in Tränen aus oder sinkt erschreckt von seinem Urteil ohnmächtig zu Boden. Stattdessen ist sie vergnügt und erzählt die Geschichte ihren Freundinnen. Hoppla....
Da wird sie erst interessant für ihn.... anscheinend braucht er den Widerspruch!
Und bis zu dem ersten Antrag gibt er ihr so widersprüchliche Signale, dass es schon sehr schwierig, zu unterscheiden, ob er sie nun mag oder nur weitere Fehler an ihr sucht ( was sie ja annimmt).
Aber er kann ja nun anscheinend nicht mehr weiter, als er sie in Rosings wiedersieht. Erstaunlich, dass er sich zu diesem Antrag durchringt, da muß wohl vorher viel in ihm vorgegangen sein und aus seiner Sicht es ja sehr unvernünftig, eine Frau so weit unter seinem Stand zu heiraten. Kein Geld, keine Familie ( naja, die schon... aber was für eine...) und keine Aussichten. Und sie ist darauf angewiesen, reich zu heiraten. Sie muß ja sagen... theoretisch.... Macht sie aber nicht. Erst da fängt er an, über sein Auftreten nachzudenken und darum kommt es zu diesem grundehrlichen Brief, der ihn halt als eindeutiges "Nichtcharakterschwein" ausweist. Denn für so einen Brief braucht man eine ganze Menge Charakter.
Grüße,
Kerstin

P.S. Ich bemühe mich besonders um die Kommas!

P.P.S. Danke Sonja!

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MierschB
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Geschrieben Donnerstag, Mai 19, 2005 @ 09:04:24  

Ach ihr Mädchen,

da hat der arme Darcy mal EINE unbedachte Äußerung in einem für mich nachvollziehbaren ärgerlichen Dialog mit seinem besten Freund, der ihn gerade ganz fürchterlich genervt hat, getan und ihr müsst ihn nun 200 Jahre lang mit eurem Zorn verfolgen.

Ich sage EINE, denn weitere gibt es nicht - bis zu der ungeschickten Erwähnung des skandalösen Verhaltens der Bennetschen Familienmitglieder bei seinem ersten Antrag - das war sicher nicht sehr "klug" von ihm, aber er war auch hier völlig aufgeregt - sein erster Heiratsantrag immerhin - da muss man ihm schon eine kleine Trübung seines Verstandes zugestehen können... Schließlich hat er gerade seine Fassung verloren... Ist es euch nicht auch schon mal so gegangen, dass eure Gefühle mit euch durchgingen, sodass ihr Realität und Traum verwechseltet? Der arme Darcy ist so unsterblich in Lizzy verliebt, dass ihm seine scharfsinnige Beobachtungsgabe, sein Verstand und seine Vernunft völlig abhanden gekommen sind, hätte er sonst geglaubt, dass Lizzy ihn lieben würde??? Wo sie ihm doch auf den vorigen 200 Seiten jederzeit unmissverständlich und ziemlich deutlich zu erkennen gegeben hat, für was für ein Charakterschwein sie ihn hält?

Zur Frage der Bingley-Jane-Affäre bitte ich darum, die Sache einmal von Darcys Standpunkt aus zu betrachten: Er und sein Freund sind sehr reiche Männer, das erste, was den Frauen einfällt, als sie in der Gegend auftauchen ist, sich über die beiden herzumachen, geheiratet werden muss - koste es was es wolle... Zum Teufel, was haben Gefühle damit zu tun? es geht ums Geschäft! Das kommt einem doch vor wie auf einem Piratenschiff - lauter Freibeuterinnen... Und alle wollen nur das eine: Geld, Geld, Geld... Da wird man schon etwas misstrauisch (Darcy erwähnt mal, dass es nicht die erste Liebesaffäre sei, in der Bingley verwickelt worden wäre. Ein gebranntes Kind... ) - Und dann taucht da dieses indifferente Wesen auf, keine sichtbaren Gefühlsregungen - lest das Gespräch zwischen Charlotte und Lizzy im 6. Kapitel ("Doch stellte Elizabeth mit Genugtuung fest, dass die Welt draußen wahrscheinlich nichts von dieser Liebe entdecken würde, da Jane es verstand, auch bei starken Gefühl sich völlig zu beherrschen ... wodurch sie sich vor zudringlichen Vermutungen der Mitwelt abschirmen konnte." ) - Was schreit Mrs. Bennet quer durch den Saal? "Meine Tochter hat diesen reichen Herren da gekapert und wird ihn nicht mehr loslassen! Mann, Leute, werden wir reich sein!" - Darcy wusste nichts von der Liebe Janes, nicht mal die nächsten Bekannten wussten, dass Janes Herz gebrochen war... So wie sie ihre Liebe verbarg, versteckte sie auch ihren Schmerz... Kann man da einem so flüchtige Bekannten wie Darcy verübeln, dass er aus dem, was er sah, was für ihn und alle unbeteiligten Beobachter auf der Hand lag, seine Schlüsse zog. Und er so handelte, um seinem besten Freund vor eine Mesalliance, vor einer unglücklichen Ehe, zu bewahren? Am Ende wurde klar, dass er falsch lag in seiner Beurteilung der Situation, aber wer hätte es an seiner Stelle mit den ihm zur Verfügung stehenden Informationen besser gewusst?

Ich denke eben an Anne Elliot und der Situation in der sie war, als sie dem Rat ihrer mütterlichen Freundin folgte... Ich hab das, glaube ich, hier im Group-Read-Thread zu Persuasion zitiert. Ist Darcy nicht in einer ähnlichen Situation wie Lady Russell? Und ist man im Nachhinein nicht immer schlauer? Kann man denn nur vom Ende her Darcy beurteilen? Hätte es nicht auch anders ausgehen können? Kaputte Ehen sind in Jane Austens Romanen nicht gerade selten...

Bitte, bitte, seid lieb zu dem armen Mann... Er versuchte sein bestes zu tun...

Bruki

PS: Es leben die Kommata!

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Kratzbürste
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Geschrieben Donnerstag, Mai 19, 2005 @ 09:31:16  

Quote:
Kratzbürste: Sie fühlt sich im Recht. Ich kann ihr da keinen Vorwurf machen.

Quote:
Erstellt von MierschB

Ach liebste Kratzbürste, dass zeigt aber nur, was für ein mitfühlendes Herz Du hast. - Im wirklichen Leben kommt es nicht darauf an, sich im Recht zu fühlen, sondern Recht zu haben (oder vor Gericht zu bekommen). (...)

Lieber Bruki, bevor man gesagt bekommt, ob man denn nun im Recht ist oder nicht fühlt man sich doch erst mal im Recht. Oder etwa nicht? Schätzt du Lizzy so ein, daß sie jemandem etwas zum Vorwurf macht ohne sich sicher zu sein, daß dem auch wirklich so ist? Ich nicht! Das Verhalten, das Darcy zur Schau stellt, und die Eröffnungen von Wickham sind für sie Beweis genug. Es paßt einfach zu gut zusammen. Sie hat sich - wie ganz Meryton - täuschen lassen.
Zur Interpretation aus männlicher Sicht:
Es mag ja sein, daß Männer manche Dinge anders interpretieren (übrigens das Lieblingswort jedes Sozialpädagogen) als Frauen. Aber vielleicht sollte man nicht außer Acht lassen, daß Jane Austen eine Frau war ...

Und noch etwas: Ich vergöttere Darcy! Er gewinnt mit näherer Bekanntschaft!

Edit:
Bruki, man kann Darcy ab dem Brief anders beurteilen (aber nicht erst am Ende). Davor ist er ein ziemlich interessanter aber nicht gerade sympathischer Charakter.

Kerstin
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Geschrieben Donnerstag, Mai 19, 2005 @ 12:42:44     ICQ

Quote:
da hat der arme Darcy mal EINE unbedachte Äußerung in einem für mich nachvollziehbaren ärgerlichen Dialog mit seinem besten Freund, der ihn gerade ganz fürchterlich genervt hat, getan und ihr müsst ihn nun 200 Jahre lang mit eurem Zorn verfolgen.

Es gibt dazu eine ganz simple Weisheit...
Es gibt keine zweite Chance für einen ersten Eindruck.
Und wenn mich jemand vor meiner Nase als "passabel, aber nicht hübsch genug" bezeichnet, empfinde ich das als Unverschämtheit und der Typ hat einfach für die nächste Zeit bei mir "verschissen".
Nebenbei wird ja auch beschrieben, dass er an dem Abend sich anderen gegenüber auch arrogant verhielt. Anscheinend nicht nur ein Ausrutscher, denn Jane Austen beschreibt ihn wie folgt:

[...]aber Darcy war klug. Er war gleichzeitig hochmütig, zurückhaltend, schwer zufriedenzustellen und von keineswegs entgegenkommenden Wesen, wenn auch wohlerzogen. ( was er vergißt, als er über die anwesenden Damen herzieht. ) In dieser Beziehung war ihm sein Freund weit überlegen. Bingley gefiel, wo er auch hinkam, Darcy erregte überall Anstoß.

Modern genommen wäre das so, du kommst auf eine Party mit dir unbekannten Leuten, weil dein Freund dich überredet hat. Dir gefällt es nicht.... Du stellst dich in die Nähe der Gastgeber und ziehst laut und kräftig über die Fete her... wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Leute von dir begeistert sind?
Auch 200 Jahre später wirst du mit diesem Verhalten leider unten durch sein. Hat sich wohl nicht so viel geändert!
Und auch wenn die Männerwelt vielleicht davon träumt, wer blöde Bemerkungen und einen auf "Ich bin was besseres" macht, der fällt bei den meisten Frauen durch.

Und das er seinen Freund von einer unvernünftigen Ehe abhält, mag ja aus seiner Sicht löblich sein, doch wird angedeutet, dass er auf irgendeinem Wege die Nachrichten Janes verschwinden läßt. Das ist nun alles andere als "gentlemanlike". Und außerdem ist er mit seiner Tat auch noch herumgegangen und hat sich dafür gelobt. Kein guter Stil!

Und jetzt wird es mal für Männer schwierig... lieber Bruki, versuche dich mal in Lizzy zu versetzen... Ihre Situation beim Heiratsantrag. Sie hat keine Ahnung, dass er völlig in sie vernarrt ist, sie hat nur schlechtes über ihn gehört und sein "erster Eindruck" war auch entsprechend und sie weiß, dass er am Unglück ihrer Schwester schuld ist. Und das hat sie auch grade erst erfahren. Ihr tun die harten Worte nachträglich natürlich leid, aber das da ihre Gefühle genauso mit ihr durchgehen, das ist wohl nicht schwer zu verstehen.
Es mag unverständlich sein, aber wir mögen Darcy deswegen, weil er anfangs ein arroganter Schnösel ist, der auf alles herabsieht und sich dann zu dem Menschen entwickelt ( oder zurückentwickelt... je nachdem), den Lizzy auch lieben kann.
Grüße,
Kerstin

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Sonja
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Geschrieben Donnerstag, Mai 19, 2005 @ 13:41:20  

Menno, schon wieder warst Du zuerst da, Kerstin. Ich denke auch, so ein Verhalten wird auch heute noch kaum auf viel Verständnis stoßen. Bei der damals üblichen Etikette war es allerdings der Supergau.

Und wie Du schon sagst Bruki, verhält er sich wie Lady Russel... und hat null Recht dazu. Er kann seinen Freund offen warnen, mehr aber auch nicht. Seine Winkelzüge sind eigentlich unter seiner Würde. Und das gibt er in dem Brief ja auch zu. Und so was hat Lady Russel auch nicht getan ... so gesehen hast Du damit dann doch nicht Recht. Sie hat ihre Bedenken geäußert und Anne hat sich beeinflussen lassen. Sie hat nicht getrickst.

Und dann:

Quote:
(Darcy erwähnt mal, dass es nicht die erste Liebesaffäre sei, in der Bingley verwickelt worden wäre. Ein gebranntes Kind... )

Hattest Du kürzlich eine Seance mit Jane Austen? Oder woher weisst Du das? Da steht nur, dass sein Herz leicht zu begeistern war. Nichts von gebranntem Kind und nichts von heiratswütigen Erbschleicherinnen die Bingley überall nachstellen, wo er auftaucht. Er neigt einfach dazu, sich schnell zu verlieben... und auch schnell wieder zu vergessen. Mit Jane ist es das erste Mal etwas anderes und das beunruhigt Darcy, weil er sie nicht für ebenbürtig hält. Gegen Janes Charakter hat er auch nie etwas einzuwenden, nur gegen ihre Herkunft und ihre Familie. Mehr steht da nicht in P&P. Wie gesagt, es sei denn, Du hast da tiefere Einblicke als wir gewöhnlichen Janeiten.

Und auch aufs Geld zu schauen bei einer Ehe war damals nichts Anrüchiges, sondern etwas völlig normales. Daraus würde niemand irgendwem einen Vorwurf machen. Mrs Bennet schreit einfach nur zu laut. Und auch JA fand, dass Standes- und finanzielle Aspekte einer Verbindung immer mindestens genauso wichtig sind, wie die gegenseitige Zuneigung.

Und dann, lieber Bruki, wäre es einfach höflicher, sich nicht wegen fehlender Kommas (Dein Einsatz, Bruki) aufzuspielen. Wir befinden uns hier nicht in einem Germanistikseminar einer deutschen Hochschule. Dies ist ein Board, wo man seine Meinung posten kann, ohne vorher dreimal Korrektur gelesen zu haben. Nun gibt es Zeitgenossen, die dabei so viele Fehler machen, dass der Sinn unverständlich wird. Kerstin (oder sonst jemand hier) gehört jedoch nicht dazu. Klugscheißen ist auch kein guter Stil, Bruki.

Viele Grüße

Sonja

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MierschB
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Geschrieben Donnerstag, Mai 19, 2005 @ 16:53:57  

Hallo Kratzbürste,

Quote:
Schätzst du Lizzy so ein, daß sie jemandem etwas zum Vorwurf macht ohne sich sicher zu sein, daß dem auch wirklich so ist?

Ja, das tue ich... Und Jane Austen tut es auch, denn darauf beruht der gesamte Plot ihres Romans.

Quote:
Ich nicht!

Es ist das schöne am Internet, dass jeder seine eigene Meinung haben kann, und niemand sich deswegen ärgern muss, dass sie mit der eigenen nicht übereinstimmt.

Quote:
Es mag ja sein, daß Männer manche Dinge anders interpretieren

Nun ja, aber Jane Austen hat es geschrieben, man kann es lesen. Das hat erstmal nichts mit Mann oder Frau zu tun (ich bedauere nun, dieses Thema - wie ich glaubte scherzhaft - aufgebracht zu haben). Und man kann sich Gedanken darüber machen. Und sicher werden neben den geschlechtspezifischen Unterschieden auch die des Herkommens, der Lebenserfahrung, des Charakters des Lesers die Interpretation beeinflussen. Aber warum denn nicht auch mal etwas aus einer fremden Sicht ansehen?

Man kann meinen, dass Darcy in der ersten Hälfte des Romans ein arroganter, hochnäsiger Schnösel ist, der sich ungefragt in fremde Angelegenheiten einmischt, der sich überheblich zu seiner Umwelt verhält, dem man alle Schlechtigkeiten der Welt zutrauen kann (einschließlich der Untreue gegenüber von ihm Abhängigen). Und es ist auch möglich anzunehmen, dass er sich unter dem segensreichen Händen Elizabeth in der zweiten Hälfte des Romans zu einem besseren Menschen wandelt, der nett zu Onkel und Tante Gardiner ist, der am Ende sogar Frau Bennet erträgt - wenn auch nicht jeden Tag...

Man kann auch meinen, er sei immer so gewesen wie er war - und dass er sich erst bei näherer Bekanntschaft als ein herzensguter Mensch erweist - wenn man ihm die Chance dazu lässt.

Eine interessante Stelle, die zeigt, wie Gerüchte gemacht werden:

»... Mrs. Long hat mir gestern abend erzählt, dass er eine halbe Stunde lang direkt neben ihr gesessen und kein einziges Mal den Mund aufgetan hat.«
»Sind Sie ihrer Sache ganz sicher? Liegt da nicht doch ein kleiner Irrtum vor?« fragte Jane. »Ich habe doch ganz genau gesehen, dass Mr. Darcy mit ihr gesprochen hat.«
»Ja, stimmt schon - aber doch nur, weil sie ihn dann endlich gefragt hat, wie es ihm in Netherfield gefällt, und da musste er ja schliesslich eine Antwort geben; aber sie sagte, er schien sehr gereizt, weil sie ihn angeredet hatte.«
»Miss Bingley hat mir erzählt«, sagte Jane, »daß er nie viel spricht, wenn er nicht unter guten alten Bekannten ist; zu denen soll er sehr nett und höflich sein.«
»Davon glaube ich nicht ein Wort, meine Liebe. Wenn er wirklich nett und höflich wäre, hätte er sich mit Mrs. Long unterhalten. Aber ich kann mir schon denken, wie die Sache war. Es heisst ja allgemein, daß er vor Stolz fast platzt, und da hat er wohl irgendwie erfahren, daß Mrs. Long keinen eigenen Wagen hält und in einer Lohnkutsche zum Ball gekommen ist.«

... wie leicht es doch ist, von einer Charaktereigenschaft auf die nächste zu schließen... Ein paar unbewiesene Behauptungen und schon hat man eine feststehende Tatsache ans Licht der Welt gebracht...

Aber lassen wir das lieber, ich möchte die Phantasie der Interpretationen nicht durch seminaristisches Verhalten hemmen...

Quote:
Aber vielleicht sollte man nicht außer Acht lassen, daß Jane Austen eine Frau war ...

Hier versagt meine Interpretationskunst.

Bruki

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Kerstin
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Geschrieben Donnerstag, Mai 19, 2005 @ 17:43:16     ICQ

Schön, dass du das Zitat gebracht hast. Da sind nämlich zwei Dinge drin...
Ein Mal, dass sie tatsächlich darauf geschlossen haben, weil Mrs Long nicht reich genug ist, hätte er kein Wort mit ihr gewechselt. Schon haben wir das erste Vorurteil.
Das andere ist aber, er hat anscheinend mit den gängigen Umgangsformen nur was am Hut, wenn ihm die Gesellschaft zusagt. Leider war man aber zu dieser Zeit recht streng, man mußte sich an die Regeln halten. Und anscheinend ist wohl ungewöhnlich, wenn man eine halbe Stunde schweigend neben einer Dame sitzt und nicht gewillt ist, höfliche Konversation zu betreiben.
Sowas sieht übrigens auch heute noch ziemlich blöd aus.

Im Kern ist er ein guter Mensch, keine Frage. Er ist unter Freunden ein netter Kerl, zu seinen Angestellten anscheinend sehr großzügig ( man erinnere sich an die Lobeshymne seiner Haushälterin). Dummerweise hat er kein Talent ( oder gibt sich nicht die Mühe, es zu haben), dass der Außenwelt auch zu zeigen. Da wirkt er halt unfreundlich, arrogant und schnöselig.
Nebenbei, er gibt es ja am Ende auch selbst zu:
[...] "Als Kind wurde ich gelehrt, was recht ist. Aber man lehrte mich nicht, meine Launen zu beherrschen. Man gab mir gute Grundsätze, aber man ließ mich in Stolz und Einbildung ihnen folgen. Unglücklicherweise war ich der einzige Sohn [...] und wurde von meinen Eltern verwöhnt, die selbst gut waren und mich darin bestärkten, ja es mich lehrten, selbstsüchtig und anmaßend zu sein - an niemandem außer meinem Familienkreis Anteil zu nehme, von der übrigen Welt gering zu denken. So war ich vom achten bis achtundzwanzigsten Jahr; und vielleicht wäre ich ohne dich, liebe Elizabeth, noch ebenso!" Die Stelle sorgt übrigens im Film bei mir mehr Seufzen als sein Auftauchen im nassen Hemd!
Selbsteinsicht ist ja der beste Weg zu Besserung!
Grüße,
Kerstin

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Geschrieben Freitag, Mai 20, 2005 @ 09:49:19  

Quote:
Schätzst du Lizzy so ein, daß sie jemandem etwas zum Vorwurf macht ohne sich sicher zu sein, daß dem auch wirklich so ist?

Quote:
Ja, das tue ich... Und Jane Austen tut es auch, denn darauf beruht der gesamte Plot ihres Romans.

Du sagst also, daß Lizzy ganz genau weiß, daß das mit Wickham nicht unbedingt stimmen muß. Und sie wirft es Darcy trotzdem vor!?!? (Denn so meinte ich den Satz. Vielleicht hast du das jetzt anders verstanden.)
Wie gesagt, ich denke, daß sie völlig davon überzeugt ist, was Wickham ihr da aufgetischt hat. Und nur deshalb traut sie sich auch, Darcy seine Ungerechtigkeit gegenüber Wickham vorzuwerfen.
Wenn ich irgendein Gerücht über jemanden höre und ich bin mir nicht sicher, ob das denn auch stimmen kann, dann werde ich das nie - aber wirklich nie - dem Betroffenen ins Gesicht schleudern. Auch wenn ich noch so wütend bin.

Quote:
Es mag ja sein, daß Männer manche Dinge anders interpretieren

Quote:
Nun ja, aber Jane Austen hat es geschrieben, man kann es lesen. Das hat erstmal nichts mit Mann oder Frau zu tun (ich bedauere nun, dieses Thema - wie ich glaubte scherzhaft - aufgebracht zu haben). Und man kann sich Gedanken darüber machen. Und sicher werden neben den geschlechtspezifischen Unterschieden auch die des Herkommens, der Lebenserfahrung, des Charakters des Lesers die Interpretation beeinflussen. Aber warum denn nicht auch mal etwas aus einer fremden Sicht ansehen?

Natürlich ist es interessant zu erfahren was andere zwischen den Zeilen lesen. Und entweder man stimmt dem zu oder eben nicht. Manchmal kommt einem auch das Lachen (Hast du schon einmal gelesen was alles in Harry Potter hineininterpretiert wird? - J. K. Rowling muß wirklich ein Genie sein!) oder man kann nur noch den Kopf schütteln. Nun sind die Werke Jane Austens ja doch in ihrer Aussage recht klar. Es gibt aber andere Autoren, aus deren Werken die unterschiedlichsten Bedeutungen herausgelesen werden können (Kafka ist ja ein sehr beliebtes Interpretations-Objekt). Jeder sieht es etwas anders. Jeder einzelne liest für sich etwas anderes heraus. Und wenn das für denjenigen einen Sinn ergibt, ist das gut so.
Wieder andere wollen aber genau wissen, was der Autor damit sagen wollte. Das artet dann teilweise schon zur Wissenschaft aus.
Solange niemand darauf pocht, daß seine Ansichtsweise die richtige ist, soll mir das egal sein. Aber manchmal muß man beim Schreiben beachten, daß der Leser das schalkhafte Lachen des Schreibers nicht sehen kann.

Und um meinen Standpunkt noch kurz darzustellen, was das Verhalten Darcy's betrifft: Auch ich denke, daß er durchgehend ein guter Mensch war. Aber sein Verhalten läßt eben doch zu wünschen übrig. Erst durch die Abfuhr Lizzy's wird ihm klar, daß er diese Ablehnung nicht nur den Lügen von Wickham zu verdanken hat, sondern auch sich selbst. Denn hätte er sich anders gegeben hätte Lizzy Wickham's Aussage in Frage gestellt. So sehe ich das.

MierschB
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Geschrieben Freitag, Mai 20, 2005 @ 17:08:17  

Hallo Kratzbürste, hallo Kerstin,

I say Amen to that.

Bruki

PS: Obwohl ich mir gewünscht hätte, Elizabeth hätte ihre Menschenkenntnis und ihren kritischen Witz bei der Entdeckung fremder Fehler mehr bei Wickham als bei Darcy eingesetzt.

PPS: Ich glaube ehrlich gesagt nicht so recht, dass Darcy an dem betreffenden Abend eine halbe Stunde neben Frau Long gesessen hat... es werden wohl eher 5 Minuten gewesen sein...

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Kerstin
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Geschrieben Freitag, Mai 20, 2005 @ 17:31:21     ICQ

Ich fürchte, nach seinem unverzeihlichen Verhalten beim ersten Auftritt war sein penetrantes Nachfragen beim ersten Heiratsantrag ein Grund für Lizzys Unfreundlichkeit.
Sie hat ihm ja vorher nicht grade Anlass dazu gegeben, zu glauben, sie wäre ihm irgendwie zugetan. Aber das war ihm vermutlich egal.
Jane Austen schreibt ja, erst tat es ihr leid, seinen Antrag ablehnen zu müssen, aber dann stellt sie fest, dass er mit einem JA rechnet und nie auf die Idee käme, sie würde vielleicht ablehnen. Und das macht sie wütend....
Erst kommt sie ja mit seinem Eingriff in das Leben ihrer Schwester... dummerweise gibt er es zu UND findet es auch noch gut! Ganz schlecht.... Der Satz:" Ich habe alles nur mögliche getan, um meinen Freund von ihrer Schwester zu trennen, und ich freue mich meines Erfolges." ist nun wirklich tödlich. Er sorgt dafür, dass ihre Schwester unglücklich ist und einer sicheren Zukunft beraubt und freut sich dann noch darüber? Und sagt ihr das?
Das war eindeutig der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.
Alles, was danach kommt, hat er mehr oder weniger sich selbst zuzuschreiben... und ehrlich gesagt, auch wenn es Lizzy hinterher sehr leidtut, verstehen kann ich sie in diesem Moment voll und ganz!
Grüße,
Kerstin

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Geschrieben Freitag, Mai 20, 2005 @ 19:05:57  

Hallo Kratzbürste,

Ich will noch eine Sache richtig stellen, bevor ich mit reinem Gewissen ins Bett gehen kann:

Du schriebst:

Quote:
Du sagst also, daß Lizzy ganz genau weiß, daß das mit Wickham nicht unbedingt stimmen muß. Und sie wirft es Darcy trotzdem vor!?!?

Ich will das so nicht stehen lassen. Ich hätte gesagt, dass Lizzy nicht ganz genau weiß, ob das mit Wickham unbedingt stimmt. Sie glaubt ihm, ohne es zu hinterfragen... (Warum sie das tut, ist hier schon ausreichend erläutert worden.) - Vielleicht hätte sie, wenn sie Darcy mit weniger Vorurteilen entgegen getreten wäre, ihn darauf angesprochen - oder den Hinweisen Mr. Bingleys, ihrer Schwester und Miss Bingleys mehr Glauben geschenkt?! Und damit sich und den anderen eine Menge Ärger, Herzleid und Verdruss erspart.

Bruki

PS: Leider kann ich mit der Anspielung auf Harry Potter nichts anfangen, weil ich den nicht kenne. Meinst Du, der wäre (als Kinderbuch) zu flach, etwas tiefsinniges darin zu finden? Also, ironisch? - Wenn Du es mir anhand der Bücher von JRR Tolkin erklärst, werde ich es besser verstehen...

PPS: Ich bin nicht der Ansicht, dass Jane Austens Romane in ihren Aussagen recht klar sind. Das Geniale an Jane Austen ist, dass sie es uns so erscheinen lässt, ohne das es das wirklich ist! (Pöh, ein Allgemeinplatz, der auf alle großen Kunstwerke zutrifft. - ich bitte darum, mich deswegen nicht zu löffeln. )

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Geschrieben Freitag, Mai 20, 2005 @ 19:16:46  

Hallo Sonja,

autsch, das mit dem Klugscheißer tut richtig weh...

Die Frage der Kommata war nicht so gemeint, wie Du es zu verstehen glaubtest: Mir sind die (alten und neuen) Rechtschreibregeln auch nicht bis ins Detail klar... Ich hätte zu Kerstins Text auch schreiben können: "Ich hätte kein Jota daran geändert." Ich weiß nur nicht, was ein Jota ist... deshalb verwendete ich "Kommata".

Das mit den Liebesaffären ist schon so: Darcy schreibt in seinem Brief: "I had often seen him in love before." - Was ich so interpretiere, dass Darcy mehr als einmal seinen guten Freund davon abhalten musste, im Überschwang der Gefühle eine Dummheit zu begehen... Und, auch wenn es Dich fuchst: Bravo für das! (Hätte Bingley sonst Jane Bennet an den Traualtar führen können? )

Zur Frage einer Geldheirat habe ich nicht gesagt, dass ich das anrüchig finde. Ich tendiere da eher in Richtung der Ansichten Charlotte Lucas. (Meine Freundin, die eine Anhängerin der romatischen Liebe ist, kritisiert meine für ihren Geschmack zu "prosaischen" Ansichten in diesen Fragen deshalb überaus heftig. ) Ich wollte in diesem Passus nur darauf hinweisen, dass Männer mit großem Vermögen nicht nur auf der Suche nach einer Frau sind, sondern auch unter ständigen "Beschuss" der Goldgräberinnen... Wie kompliziert unter diesen Bedingungen die Suche nach der "wahren Liebe" wird, kannst Du in jeder Boulevardzeitung nachlesen, die sich mit dem Liebesleben der Reichen und Berühmten befasst. Da kann Man(n) leicht übervorsichtig und misstrauisch reagieren, wenn eine Mutter ihre Tochter so präsentiert. Nur darauf wollte ich hinweisen.

Schlussendlich: In der Frage der Lady Russel werden wir wohl auf ewig unterschiedlicher Meinung sein... Aber sowas macht das Leben doch erst lebenswert - wenn alle immer dasselbe labern würden, würde es nicht nur im Internet ziemlich öde zugehen!

Nix für ungut, Du machst einen guten Job...

Bruki

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Geschrieben Freitag, Mai 20, 2005 @ 21:00:31  

Hallo Kerstin,

ich bin eben noch mal die ersten Kapitel des Buches durchgegangen. Um einen Einfall (Geistesblitz) nachzuprüfen, der mir beim Lesen Deines Postings zu dem Zitat aus dem 5. Kapitel kam, wo es um die "Entstehung eines Gerüchtes" geht.

Quote:
Schön, dass du das Zitat gebracht hast. Da sind nämlich zwei Dinge drin...
Ein Mal, dass sie tatsächlich darauf geschlossen haben, weil Mrs Long nicht reich genug ist, hätte er kein Wort mit ihr gewechselt. Schon haben wir das erste Vorurteil.
Das andere ist aber, er hat anscheinend mit den gängigen Umgangsformen nur was am Hut, wenn ihm die Gesellschaft zusagt. Leider war man aber zu dieser Zeit recht streng, man mußte sich an die Regeln halten. Und anscheinend ist wohl ungewöhnlich, wenn man eine halbe Stunde schweigend neben einer Dame sitzt und nicht gewillt ist, höfliche Konversation zu betreiben.
Sowas sieht übrigens auch heute noch ziemlich blöd aus.

Der Reihe nach: Im ersten Kapitel wird von Mrs. Bennet beklagt, dass ihre Töchter auf dem Ball wohl keine Chance bekämen mit dem reichen neuen Nachbarn zu tanzen, wenn Mr. Bennet nicht vorher die Bekanntschaft herstellt. Im zweiten Kapitel geht das Lamentieren weiter - es werden verzweifelte Ausweichpläne geschmiedet und wieder verworfen. Mrs. Bennet beklagt, dass Mrs. Long, verreist wäre

»... und Mrs. Long kommt erst am Tag zuvor zurück, und drum kann sie ihn nicht vorstellen; denn sie wird ihn bis dahin selber nicht kennengelernt haben.«
»Dann, meine Liebe, können Sie eventuell Ihre Freundin ausstechen und Mr. Bingley ihr vorstellen.«
»Unmöglich, Mr. Bennet, ganz unmöglich, wenn ich doch selber mit ihm nicht bekannt bin; wie können Sie mich nur so quälen!«

Also, was lernen wir daraus:
1. Ohne Vorstellung keine Bekanntschaft, ohne Bekanntschaft keinen Tanz (und auch keine Konversation, kann man annehmen)!
2. Diese Regel ist so stark, dass sogar die liebe Mrs. Bennet, die sonst eher jede Höflichkeitsregel bricht, sich daran zu halten gedenkt - und sogar bereit ist das Glück ihrer Töchter dabei aufs Spiel zu setzen!
3. Frau Long ist bis zum Tag des Balls in Meryton Mr. Bingleys nicht vorgestellt worden (und kann man darf wohl annehmen auch seinem Freund Mr. Darcy nicht)!

Jetzt stellen wir noch Darcys Erziehung in Rechnung und seinen Vorliebe für formvollendetes Verhalten (Du hast das schon zitiert): Er war

... hochmütig, zurückhaltend und schwer zu befriedigen und in seinen durchaus korrekten Umgangsformen nicht eben anziehend. ... Darcy stieß die Leute ständig vo den Kopf.

Und schon können wir uns ziemlich genau ausmalen, was da am Tisch der Frau Long stattfand: Darcy wurde neben jemanden platziert, dem er nicht vorgestellt worden war. Was machte er? Er ignorierte die Person, wie er es gelernt hatte. Dann gab es einen Eklat: diese Person sprach ihn an, er antwortete kurz und verließ den Platz. Wie er es gelernt hatte?!

Um das noch zu bekräftigen: Denke mal an die Szene im P&P-Film, als Mr. Collins sich zum Entsetzen der beiden ältesten Bennet-Töchter auf dem Ball in Netherfield Mr. Darcy selbst vorstellt... Und an dessen Reaktion darauf... Und an die Reaktion der beiden Töchter darauf... (Waren sie sauer auf Mr. Darcy wegen dessen - aus heutiger Sicht - unhöflichen Verhaltens oder auf Mr. Collins wegen dessen - aus damaliger Sicht - unmöglichen Benehmens?)

Und so entstehen Vorurteile - auch heute noch nach 200 Jahren!

Und Du must Dir mal vergegenwärtigen, dass Jane Austen das alles ganz bewusst so eingefädelt hat... um uns aufs Glatteis zu führen... Jedes Jota, jedes Komma stimmt auf den Punkt...

Man kann sich nur in tiefster Verehrung vor der Genialität unserer Lady Jane Austen verbeugen!!

Bruki

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Geschrieben Samstag, Mai 21, 2005 @ 00:20:12     ICQ

Einige Seiten vorher ist übrigens eine Beschreibung des Abends drin:
"[...] Er (Darcy) lehnte es ab, einer anderen Dame vorgestellt zu werden, und verbrachte den übrigen Teil des Abends damit, im Saal umherzuwandern oder gelegentlich mit seinen Bekannten zu sprechen."
Nur waren Bälle eigentlich dazu gedacht, dass man sich "unters Volk mischt". Ich fürchte, das sein Verhalten wohl nicht so ganz der gängigen Etikette entsprach.
Wir werden wohl nie ganz nachvollziehen können, WAS man durfte und was als sehr ungehörig galt.

Ein Beispiel:
Wenn eine Dame einen Tanzpartner ablehnte, dann durfte sie nicht danach einen anderen Tanzpartner akzeptieren. Das war unhöflich. Wenn man ablehnte, mußte man diesen Tanz aussetzen ( eigentlich sogar mehr als einen Tanz).
Darum kann Lizzy zwar seine Aufforderung zum Tanz bei den Fosters ablehnen, denn da will sie nun gar nicht tanzen, aber auf Netherfield bleibt ihr aus Höflichkeitsgründen gar nichts anderes übrig, als seine Aufforderung anzunehmen.
Ich habe jetzt beim Googlen doch noch etwas gefunden, es ist zwar viktorianisch, aber sicher nicht so weit entfernt von der Etikette im Regency:

Should there be a vacant seat beside a lady with whom you are unacquainted, procure an introduction or leave the seat unoccupied, so far as you are concerned. ER muß sich also vorstellen.
Gentlemen not in attendance on ladies are at the disposal of the hostess and ladies of the house, one of whom he should invite to dance, and if she declines, as she may, seeing some of her lady friends unprovided with partners for the dance, or not having room enough to take the floor, the gentleman will obey her instructions, and invite the lady indicated to dance. Ups, Tanzzwang!

A very sedate face is not appropriate to a ball-room; cultivate a pleasant expression, and when presenting hands during the dance, proper movement of the head and body, as in salutation, should bespeak your acquaintance with etiquette. Some gentlemen perform a dance as if it were a sacrificial duty Oha, also miesepetrig herumstehen scheint auch nicht so als "fein" zu gelten.
Ich fürchte, der gute Darcy ließ bei seinem ersten Auftritt wenig Fettnäpfchen aus....
Zum Nachlesen: Gaskell's Compendium

Da habe ich noch eins...
The master of the ceremonies must take care that every lady dances, and press into service for that purpose these young gentlemen who are hanging round the room like fossils. If desired by him to dance with a particular lady you should refuse on no account. Oh wei, echter Tanzzwang!
Das stammt von 1836. Zu finden hier

Anscheinend hat Jane Austen da eher den Prototyp des Partymuffels beschrieben!
Grüße,
Kerstin

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Geschrieben Samstag, Mai 21, 2005 @ 00:21:16     ICQ

Mr. Collins konnte sich nicht einfach Mr. Darcy vorstellen, weil er rangmäßig unter ihm stand....
Ich fürchte, die komplizierten Regeln, wer wann wem vorgestellt werden durfte oder mußte ist aus heutiger Sicht undurchschaubar. Aber es war anscheinend ein Faux pas, dass Mr. Collins sich in dieser Situation einfach so vorgestellt hat. Vielleicht wäre es an anderer Stelle völlig normal gewesen und absolut in Ordnung.
Eigentlich ist es auch unmöglich, dass eine unverheiratete Dame unter 30 alleine herumläuft. Sie hätte eine "Chaperone" dabei haben müssen.
Grüße,
Kerstin

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Geschrieben Samstag, Mai 21, 2005 @ 01:06:20     ICQ

Und dann fand ich noch was von "Jane Austen herself":
Lizzy ist auf Rosings und trifft dort auf Darcy und Colonel Fitzwilliam:
[...]"Bitte klagen sie ihn an"; rief Colonel Fitzwilliam, "Ich möchte zu gerne wissen, wie er sich unter Fremden aufführt."
"Schön, aber bereiten sie sich auf etwas Entsetzliches vor. Ich begegnete ihm auf einem Ball in Hertfordshire. Was tat er wohl auf diesem Ball? Er tanzte nur vier Tänze! Es tut mir leid, Ihnen diesen Kummer zu bereiten - aber so war es. Er tanzte nur vier Tänze - obgleich es an Herren mangelte! Und ich weiß bestimmt, mehr als eine Dame mußte sitzen bleiben, weil sie keinen Tänzer fand. Mr. Darcy, dass können sich doch nicht leugnen?"
"Zu jener Zeit hatt ich noch nicht die Ehre, außer meinem eigenen Kreis eine der jungen Damen zu kennen." ( Sehr lahme Ausrede, Mr. Bingley hat ja reichlich mit unbekannten Damen getanzt... )
"Allerdings - und man kann ja in einem Ballsaal niemanden vorstellen." [...]
Um es gleich vorweg zu nehmen, natürlich will sie ihn damit ärgern. Aber es scheint wohl doch unter "NANA" zu fallen, wenn man sich so verhält.
In der 95er Verfilmung findet es Colonel Fitzwilliam wohl ziemlich komisch.
Grüße,
Kerstin

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Geschrieben Samstag, Mai 21, 2005 @ 09:47:18  

Quote:
Erstellt von MierschB
Das mit den Liebesaffären ist schon so: Darcy schreibt in seinem Brief: "I had often seen him in love before." - Was ich so interpretiere, dass Darcy mehr als einmal seinen guten Freund davon abhalten musste, im Überschwang der Gefühle eine Dummheit zu begehen...

Wie Du schon sagst, das ist Deine Interpretation. Ich glaube nicht, dass sie sich ständig in Gesellschaft befanden, die unter Bingleys Niveau war. Ich denke, dass sie alle sonst in "angemessener" Gesellschaft verkehrten. Wäre sonst das Entsetzen von Darcy und den Bingley/Hursts über diese Zumutung der Gesellschaft von Meryton so groß gewesen? Wohl kaum. Gewöhnlich verkehrte man unter lauter wohlhabenden, gebildeten Leuten, der besseren Gesellschaft sozusagen. Über die ländliche Gentry von Meryton kann man da nur die Nase rümpfen. Und von daher hätte Darcy keinen Grund gehabt einzugreifen. Es war auch nicht notwendig, denn Bingley war ein Schmetterling, der von Blüte zu Blüte flatterte, ohne sich wirklich ernsthaft zu verlieben.
Quote:

"Doch erst am Abend des Balles in Netherfield begann ich zu fürchten, es könne sich bei ihm um eine ernsthafte Liebe handeln. - Ich hatte ihn zuvor schon oft genug verliebt gesehen. - ... Von diesem Augenblick an beobachtete ich das Verhalten meines Freundes aufmerksam, und ich konnte bald feststellen, dass seine Neigung für Fräulein Bennet alles übertraf, was ich bisher bei ihm erlebt hatte."

Sorry, aber das ist für mich ganz eindeutig. Miss Bennet war die erste, bei der Darcy befürchten musste, dass Bingley ernst macht und sich bindet. Vorher gab es keinen Anlass zur Sorge, schon weil Bingley eben nur getändelt hat, harmlose kleine Verliebtheiten, mehr nicht. Ganz abgesehen davon, ob die anderen Damen gesellschaftlich akzeptabel waren oder nicht, das sei mal dahingestellt (wovon ich aber aus obengenannten Gründen ausgehe).

Und weiter:

Quote:
"...und dort nahm ich es auf mich, meinem Freund die unverkennbaren Nachteile einer solchen Verbindung klarzumachen. Ich schilderte sie ihm eindringlich und suchte ihn zu überzeugen. Aber wenn meine Vorhaltungen ihn auch unsicher gemacht und seine Entscheidung verzögert haben mochte, so glaube ich nicht, dass sie letztendlich die Heirat verhindert haben würden, hätte ich ihm nicht noch versichert - ich tat es ohne zu zögern und im guten Glauben - , dass Ihre Schwester ihm gleichgültig gegenüber stände. Bis hierhin kann ich mir keine Schuld für mein Handeln zumessen"
 

Na ja, und das nachdem er dem guten Bingley eingeredet hat, Jane liebt ihn nicht wirklich, einfach, weil er durch Beobachtung zu der festen Überzeugung gelangt war. Reichlich großzügig mit sich selbst. Und in dem Fall hat Lizzy dieselbe Rechtfertigung für ihr ungerechtes Urteil in der Sache Wickham. Sie war ja auch überzeugt, es richtig zu wissen. Und was solls, wenn es sich hinterher als falsch herausstellt.

Quote:
"Nur in einem Punkt der ganzen Angelegenheit kann ich mein Verhalten selbst nicht billigen, nämlich dass ich mich bereit fand, mich an dem Intrigenspiel zu beteiligen, durch das ihm der Aufenthalt ihrer Schwester in der Stadt verheimlicht werden sollte. ... Vielleicht war dieses Verschweigen, diese Falschheit meiner unwürdig. Es ist nun jedoch einmal geschehen, und es geschah in bester Absicht"
 

Wie wunderbar, endlich mal Selbstzweifel am eigenen Handeln, die Therapie kann beginnen. Und dann doch gleich wieder: Der Zweck heiligt die Mittel. Und DAS hat Lady Russel nie getan. Sie war immer offen, keine Winkelzüge, keine Intrigen. Ich mag Lady Russel, und aus ihrer Sicht hat sie richtig gehandelt. Und es war Annes Entscheidung ihren Rat zunächst zu befolgen und 8 Jahre später drauf zu pfeifen.

Viele Grüße

Sonja

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MierschB
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Geschrieben Samstag, Mai 21, 2005 @ 11:10:14  

Hallo Kerstin,

(wann schläfst Du denn mal? )

Das mit dem Tanzmuffel würde ich unterschreiben, aber dass er nur in Meryton ein solcher ist, kann man bezweifeln, wenn man seinen Worten in Lucas Lodge Glauben schenkt. Er unterhält sich mit Sir Williams:

»... Tanzen Sie oft im St.-James-Palast?«
»Niemals, Sir.«
»Meinen Sie nicht, daß Sie damit jener Gesellschaft eine ihr zustehende Ehre erweisen würden?«
»Es ist dies eine Ehre, die ich keiner Gesellschaft erweise, wenn ich es vermeiden kann

Bei dieser Gelegenheit bedauert er übrigens auch, dass der in seinem Augen "gemütliche Abend" zu einem Tanzabend mutiert und ihm die Möglichkeit nimmt sich zu unterhalten (er hatte die Absicht Elizabeth "anzubaggern"):

Mr. Darcy stand stumm daneben, verstimmt darüber, daß der ganze Abend auf diese Weise und auf Kosten der Unterhaltung verbracht werden sollte.

Ich denke, Mrs. Long steht in der Rangordnung leicht unter Mrs. Bennet (keine eigene Kutsche, aber doch als Bekanntschaft der Bennets akzeptiert). Dass sie sich an den ranghöheren Mann wendet, ohne mit ihm bekanntgemacht worden zu sein, wird wohl ein Faux Pas gewesen sein, so wie der Mr. Collins' ein paar Wochen später auch... Mrs. Long hat zwei Nichten, die sie auch gerne unter die Haube gebracht hätte (wenn man Mrs. Bennets Worten glauben schenken darf). Also, bestand für Darcy wahrscheinlich nicht die Notwendigkeit Mrs. Long zum Tanz auffordern zu müssen. (Jane Austen erklärt mal in einem Brief, sie sei seit sie "die Haube" genommen habe froh, nun bei den Bällen in der Ecke sitzen zu können, und soviel Wein trinken zu dürfen wie es ihr beliebe. )

Mr. Bingley hat es sicher etwas leichter, mit den jungen Damen bekannt gemacht zu werden - er hat seine Besuchsrunde in der Gegend schon hinter sich und wurde somit den meisten der anwesenden Familien vorgestellt. Mr. Darcy ist - glaube ich - erst am Nachmittag des Ballabends(?) angekommen. Was ihn nun nicht davon abhalten sollte, sich von Bingley bekannt machen zu lassen. Wenn ihm seine Reserviertheit dabei nicht im Wege stehen würde.

Im Film P&P95 gibt es diese Situation der Vorstellung auf dem ersten Ball: Mr. Bingley kommt auf Mrs. Bennet zu und lässt sich deren Töchter vorstellen. Mrs. Bennet - in ihrem Übereifer nach Jane auch noch eine weitere Tochter zu "verkuppeln" - wendet sich direkt an Mr. Darcy, der ist gerade dabei "auszurasten", da rettet sein Freund im letzten Moment die Situation und stellt die beiden vor... Darcy ist aber immer noch "angefressen" und dreht ab, bevor er in ein Gespräch verwickelt werden kann.

Sehen wir uns die Motivationen der beiden an (unabhängig vom unterschiedlichen Naturell Bingleys und Darcys): Mr. Bingley will sich in der Gegend niederlassen, er ist auf gute Nachbarschaft und das Wohlwollen der Bewohner angewiesen. Darcy ist das völlig egal - er sieht die ganze "Bande" wahrscheinlich nie wieder, wenn er in ein paar Tagen abreist. So, what? Egal, was "die" von ihm halten... (hier jetzt noch seine Ichbezogenheit eingerechnet und seinen Hochmut und seine schwer zu befriedigenden Ansprüche und man hat eine Erklärung für seine abweisende Haltung. )

Bruki

PS: Eine meiner "unklaren Gedanken" hier ist auch der folgende: Darcy erzählt das viel später nach dem ersten Antrag in seinem Brief an Elizabeth. Nämlich, dass er in diesem Sommer (an dessen Ende der Ball in Meryton stattfand) in London seine Schwester Georgiana aus den Klauen Wickhams befreien musste. Vielleicht hatte er auf dem Ball einfach anderes in Kopf als sich zu amüsieren. Vielleicht war er ja am Tag davor noch voller Sorgen damit beschäftigt gewesen, sein über alles geliebtes Mündel Georgiana zu beschützen, und machte sich nun immer noch Gedanken darüber, ob seine Maßnahmen ausreichend gewesen waren?!

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Geschrieben Samstag, Mai 21, 2005 @ 13:02:49     ICQ

Ist Mrs Long nicht die Schwester von Mrs Bennet?

Dass Darcy ungern tanzt, ist doch unbestritten. Nur, damit verstößt er halt gegen die gängige Etikette. Ich habe jetzt noch einen Blick in ein Benimmbüchlein für junge Damen von ca. 1900 geworfen. Dort sind natürlich auch Bälle angesprochen, wie man sich als junge Dame korrekt verhält.
Auch, wie man sich als "Mauerblümchen" zu verhalten hat. Und dort ist genau gesagt, dass sowas eigentlich nicht vorkommen darf, da der Ballordner für "Tanzpartnerzuteilung" zu sorgen hat!
Ebenso ist das Thema "Vorstellen" behandelt. Eine Dame darf NIE mit einem Mann tanzen, der ihr nicht vorgestellt wurde. Eigentlich macht das der Hausherr, bei vielen Gästen genügt aber eine allgemeine Vorstellung beim Eintritt.
Bei großen Bällen müssen die Tänzer sich Leute suchen, die sie den gewünschten Damen vorstellen. Sieht man beim ersten Ball gut, als Bingley sich von Jane durch den Raum führen und vorstellen läßt.
Mrs Bennet, in ihrer penetranten Art, wollte sicher auch nur höflich sein. Natürlich hat sie im Hinterkopf "reicher Mann= potentieller Heiratskandidat", aber es ist sicher auch einfach eine Form von Höflichkeit, einen Gast nicht einfach zu ignorieren, sondern ihn freundlich in die Gesellschaft aufzunehmen und eine wenig Konversation zu betreiben.
So funktionierte nun mal das Zusammenleben in der Gesellschaft.
Und auch wenn Darcy kein Interesse daran hat, weil er ja nicht da wohnt. Er muß ja mit den Leuten einige Zeit umgehen, wenn er länger zu Besuch bei Bingley weilt. Da kommt es halt nicht gut, wenn man es sich mit der Gesellschaft direkt verscherzt.
Bälle waren einfach Orte, wo man sich traf, flirten konnte ( was ja nun enorm schwierig war...) und sich ein wenig unterhielt.
Das Darcy solche Veranstaltungen nicht schätzt, das kann ja niemand ahnen und nur deshalb unhöflich zu sein, dass dürfte in der Regency-Gesellschaft wohl als ziemlich daneben gesehen werden.
Seine "first impression", die er abgegeben hat, sorgte halt einfach für Unmut und zog die anderen Vermutungen und Gerüchte mit sich. Er war ja nicht nur zu den Damen unhöflich, mit denen er nicht tanzte, er war auch unhöflich zu Sir Lukas, der ja eigentlich auch nur freundlich sein wollte.

Mein Lieblingssatz aus dem Benimmbuch für den Herren ist übrigens "press into service for that purpose these young gentlemen who are hanging round the room like fossils". Irgendwie beschreibt es Darcys gelangweiltes Herumstehen wirklich vortrefflich!

@Bruki, keine Sorge, ich schlafe gelegentlich auch.
Grüße,
Kerstin

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Geschrieben Samstag, Mai 21, 2005 @ 13:08:45  

Hallo Kerstin,

Mrs Long ist nicht die Schwester von Mrs Bennet. Wer sie eigentlich ist erfahren wir nicht. Vermutlich einfach nur eine Nachbarin. Die Schwester ist Mrs Phillips.

Viele Grüße

Sonja

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Geschrieben Samstag, Mai 21, 2005 @ 13:09:13     ICQ

Quote:
Mrs. Bennet - in ihrem übereifer nach Jane auch noch eine weitere Tochter zu "verkuppeln" - wendet sich direkt an Mr. Darcy, der ist gerade dabei "auszurasten", da rettet sein Freund im letzten Moment die Situation und stellt die beiden vor... Darcy ist aber immer noch "angefressen" und dreht ab, bevor er in ein Gespräch verwickelt werden kann.

Tja, wäre er jetzt ein durch und durch höflicher Gentleman, der auf seine Umgangsformen in allen Bereichen wert legt, hätte er über ihren Faux pas hinweggesehen, höflich geantwortet und wegen des offensichtlichen Mangels an Tanzpartner Elizabeth aufgefordert. So interpretiere ich die folgende Empörung der Damen....
Bingley hat übrigens nur die "Herren" der Familie kennengelernt, den Damen mußte er auch erst vorgestellt werden. Eine Dame kann keinen Antrittsbesuch bei einem Herren machen!
Grüße,
Kerstin

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Geschrieben Samstag, Mai 21, 2005 @ 13:44:52  

Holla Sonja,

ja, der Brief ist gut intrepretiert. Die Andeutung über Bingleys "see him in love bevor" kann man natürlich in jeder Richtung auslegen. Du hältst ihn für einen "Schmetterling", der sich die Hörner abstößt - ich denke ihn mir als einen großherzigen etwas überschwänglichen jungen Mann, der ab und zu im Überschwang seiner Gefühle etwas unbedacht vorgeht und dann von seinem guten Freund Darcy auf den Boden zurück gebracht werden muss.

Aber wo wir schon beim Brief sind und dabei glühende Kohlen auf Darcys Haupt zu sammeln, lass mich dabei mittun. Dass er angeblich Briefe Janes "verschwinden ließ", wie hier im Thread jemand bemängelte, kann ich nicht glauben. Und er ist auch nicht sehr wahrscheinlich. Denn Briefe von Jane an Bingley(?) wären damals etwas völlig undenkbares gewesen (deshalb beantwortet Elizabeth auch den hier diskutierten Brief Darcys nicht - siehe LeFaye?). Aber er hat hinter dem Rücken von Bingley mit dessen Schwestern intrigiert, das ist wahr...

Doch er hat noch etwas viel schwerwiegenderes getan: Er hat Elizabeth Bennet ins Gesicht hinein gelogen! Wie? Was? Er lügt Elizabeth an? Wirst Du jetzt fragen...

Ich zitiere hier mal aus dem Ashton-Dennis-Text, den ich gerade übersetze (es geht um das Zitat aus dem Brief, in dem er seine Handlungsweise in der Jane-Bingley-Affäre zu rechtfertigen sucht, was du oben schon zitiert hast):

Er klingt geradezu arrogant, nicht wahr? Tatsache ist, dass diese Aussage und ein paar weitere, die folgen, ihm wahrscheinlich eine Menge Schmerz und Ärger verursacht haben – und sein Motiv, sie zu schreiben, unterscheidet sich von dem, was es beim ersten Lesen des Romans zu sein scheint. In Wahrheit rührt das Problem aus einem Gespräch zwischen Elizabeth und Darcy her, das ein paar Wochen vor dem Hochzeitsantrag stattfand: Elizabeth fragte ihn plötzlich und unvermittelt, ob er ihre Schwester in London gesehen habe – und er log als er antwortete, er habe nicht. Stellt euch das mal vor, dieser Mann, der sich selber als einen vollendeten Gentleman zu sehen wünschte, log – er belog eine Dame, er belog die einzige Frau, die er liebte! Es war eigentlich eine Kleinigkeit, aber wie schwer musste das auf ihm gelastet haben. Sicher war es eine große Erleichterung für ihn, die Sache in diesem Brief an Elizabeth endlich richtig stellen zu können.

Bruki

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Kerstin
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Geschrieben Samstag, Mai 21, 2005 @ 14:02:10     ICQ

Das haben wir natürlich nicht überlesen... Und dann auch noch ohne rot zu werden! Schämen soll er sich, der Schuft!
Ich habe auch nicht angenommen, dass Darcy Briefe an Bingley hat verschwinden lassen, denn Jane hat sicherlich keine an ihn geschrieben.
Aber es gibt einen Brief an Caroline Bingley, noch geschrieben in Longbourn, dass Jane nach London reisen wird. Dieser Brief kam angeblich nie an... viel Platz für Spekulation....
Da werden wohl die Bingley-Schwestern gemeinsam mit Mr. Darcy kräftig intrigiert haben. Pfui!
Darcy in dieser Sache mit Lady Russell zu vergleichen, ist da ziemlich unpassend. Sie hat Anne geraten, Captain Wentworth nicht zu heiraten und ihr direkt gesagt, dass sie diese Idee nicht gutheißt. Sie hat nicht hintenrum dafür gesorgt, dass die beiden sich nicht sehen....
Huch, ich seh grad, die Schwester von Mrs Bennet ist Mrs Phillips...
Grüße,
Kerstin

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Geschrieben Sonntag, Mai 22, 2005 @ 02:09:11     ICQ

Es ist spät, darum gibt es von mir keine Ausführungen zum Thema.
Nur soviel: interessante Diskussion, lässt mich nachdenken, mal dem einen recht geben, mal der anderen.
Bin gespannt, wie es weiter geht.

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